Armutsgefährdung und materielle Entbehrung
Der AROPE-Indikator (At Risk Of Poverty or social Exclusion) aus der Statistik "Leben in Europa" misst Armutsgefährdung nicht nur anhand der Einkommensverteilung, sondern berücksichtigt auch das Ausmaß materieller Entbehrung (Deprivation) und den Anteil der Personen, die in einem Haushalt mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung leben. Liegt eines der drei Kriterien "Armutsgefährdung", "erhebliche materielle Deprivation" oder "Haushalt mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung" vor, wird nach der EU-Definition von "Armutsbedrohung oder sozialer Ausgrenzung" gesprochen. In Niedersach-sen traf dies 2019 auf 17,8% der Bevölkerung zu (Deutschland: 17,4%).
Der Teilindikator zur "materiellen Deprivation" geht dabei der Frage nach, wie viele Menschen sich bestimmte Dinge aus finanziellen Gründen nicht leisten können, die von den meisten Menschen für eine angemessene Lebensführung jedoch als wünschenswert oder notwendig angesehen werden. Darunter fallen Ausgaben für 1) Hypotheken- oder Mietschulden oder Rechnungen für Versorgungsleistungen; 2) eine angemessene Beheizung der Wohnung; 3) unerwartete Ausgaben (2019: 1.100 Euro); 4) regelmäßige warme Mahlzeiten (jeden zweiten Tag) mit Fleisch oder pflanzlichem Eiweiß; 5) jährlich eine Urlaubsreise; 6) einen Fernseher; 7) eine Waschmaschine; 8) ein Auto; 9) und Ausgaben für Telefon.
Materielle Deprivation liegt dann vor, wenn ein Haushalt nicht für mindestens drei dieser Dinge aufkommen kann. In Niedersachsen traf dies 2019 auf 7,0% der Bevölkerung zu. Kann sich ein Haushalt vier dieser Ausgaben nicht leisten, wird von erheblicher materieller Deprivation gesprochen. In Niedersachsen waren 2019 hiervon insgesamt 1,6% (2018: 2,9%) der Bevölkerung betroffen, aufgrund der niedrigen Fallzahl in der Stichprobe ist der Wert jedoch statistisch relativ unsicher (Deutschland: 2,6%; 2018: 3,1%).
Der Blick in die Einzelpositionen zeigt darüber hinaus, was genau sich viele Haushalte nicht leisten können: 2019 konnte nur ein geringer Teil der niedersächsischen Bevölkerung es sich nicht leisten, die Wohnung angemessen zu heizen (1,6%) und noch weniger mussten aus finanziellen Gründen auf ein Telefon oder eine Waschmaschine verzichten. Unerwartet anfallende hohe Ausgaben von mindestens 1.100 Euro hätten sich hingegen mit 29,6% viel mehr Haushalte nach Selbsteinschätzung nicht leisten können, unter diesen waren zwei Drittel (66,4%) armutsgefährdet. Einen einwöchigen Urlaub im Jahr konnten sich 14,0% der Bevölkerung und 43,2% der armutsgefährdeten unter ihr nicht leisten, selbst wenn er bei Freunden oder Verwandten verbracht werden würde.
Neben der Armutsgefährdung und der materiellen Deprivation betrachtet der dritte AROPE-Teilindikator "Haushalte mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung". Ein Haushalt mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung liegt nach der EU-Definition vor, wenn die tatsächliche Erwerbsbeteiligung der erwerbsfähigen Haushaltsmitglieder im Alter von 18 bis unter 60 Jahren insgesamt weniger als 20% der potenziellen Erwerbsbeteiligung (bei zwei Personen im Jahr: 24 Monate) des Haushalts beträgt. Weniger als 20% (4,8 Monate bei zwei Personen) und damit eine sehr geringe Erwerbsbeteiligung liegt zum Beispiel vor, wenn eine Person gar nicht gearbeitet hätte und die andere Person vier Monate, was einer Erwerbsbeteiligung dieses Haushaltes von 16,7% entspräche. Bei einem Einpersonenhaushalt liegt die Schwelle bei 2,4 Monaten.
Demnach lebten in Niedersachsen 2019 insgesamt 8,7% der Bevölkerung im Alter von 18 bis unter 60 Jahren in Haushalten mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung, was in der Regel entsprechend niedrige Haushaltseinkommen zur Folge hat. Deutschlandweit betrug die Quote 8,4%.
Definition des Indikators: Armut oder soziale Ausgrenzung sind bei EU-SILC gemäß EU-Definition dann gegeben, wenn eines oder mehrere der drei Kriterien "Armutsgefährdung", "erhebliche materielle Entbehrung", "Haushalt mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung" vorliegen.
Methodische Hinweise: Ein Haushalt mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung (auch: Erwerbslosenhaushalt) ist ein Haushalt, bei dem die tatsächliche Erwerbsbeteiligung der im Haushalt lebenden, erwerbsfähigen Haushaltsmitglieder weniger als 20 % ihrer potenziellen Erwerbsbeteiligung beträgt.
Weiterführende Informationen: siehe Anhang sowie https://www.statistik.niedersachsen.de > Themen > Haushalte, Familien – Mikrozensus > Freiwillige Haushaltsbefragungen
Quelle: Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung, HSBN 2021