MENÜ
Niedersächsische Ministerin für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung
Familie in Niedersachsen Statistische Ämter des Bundes und der Länder

In wirtschaftlich hochentwickelten Ländern bedeutet Armut vor allem die mangelnde Möglichkeit der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und eine Einschränkung der individuellen Handlungsmöglichkeiten. Sie kann so zur sozialen Ausgrenzung führen. Arbeitslosigkeit, Niedriglöhne, geringe Qualifikation, mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie eine zu niedrige Altersabsicherung verstärken das Armutsrisiko und die Auswirkungen prekärer Lebenslagen. Zentraler Begriff in der amtlichen Sozialberichterstattung ist die "relative Armut" und damit einhergehend die Armutsgefährdung. Als armutsgefährdet gilt danach, wer weniger als 60% des durchschnittlichen Haushaltsnettoeinkom-
mens (Median) zur Verfügung hat.

In Niedersachsen waren im Jahr 2021 rund 1,3 Millionen Menschen von relativer Einkommensarmut betroffen. Die Armutsgefährdungsquote lag damit bei 16,8%, was in etwa dem Bundesniveau entsprach (16,6%).

Von den Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren galt etwa ein Fünftel als armutsgefährdet, unter den jungen Erwachsenen zwischen 18 bis unter 25 Jahren etwa ein Viertel - beides Werte, die deutlich über dem Durchschnitt lagen. Auch die Quote der 65-Jährigen und älteren fiel 2021 mit 17,9% überdurchschnittlich hoch aus. Damit scheint sich der schleichende Trend der letzten Jahre zu einer höheren Armutsgefährdung im Alter zu bestätigen. Bis 2019 lag in dieser Altersgruppe die Quote immer unter dem landesweiten Durchschnitt. Allerdings zeigt sich beim getrennten Blick auf Frauen und Männer ein klarer Unterschied: Frauen im Alter ab 65 Jahren waren schon seit 2010 überdurchschnittlich oft armutsgefährdet. Mit 20,2% traf dies 2021 nun auf jede Fünfte unter ihnen zu. Männer wiesen in diesem Alter mit 15,2 % ein deutlich niedrigeres Armutsrisiko auf. Im Durchschnitt über alle Altersgruppen war die Differenz zwischen diesen beiden Geschlechtern geringer (Männer: 15,9%; Frauen 17,7%).

Unterschiede zwischen Männern und Frauen sind vielfach auf weiterhin bestehende Rollenbilder zurückzuführen, was die Aufteilung der Sorgearbeit und entsprechende Unterschiede in der Erwerbsbeteiligung und somit auch beim Einkommen zur Folge hat. Es gibt daneben noch viel deutlichere Unterschiede bei der Betrachtung weiterer Merkmale wie der Zuwanderungsgeschichte oder dem Qualifikationsniveau. Letzteres ist entscheidend für die Stellung im Beruf und
das Einkommen und somit für ein mögliches Armutsrisiko. Dabei weisen Menschen mit Zuwanderungsgeschichte im Durchschnitt ein niedrigeres Qualifikationsniveau auf als Menschen ohne Zuwanderungsgeschichte. Dies kann vielfältige Gründe haben bis hin zu Diskriminierung oder fehlender Anerkennung ausländischer beruflicher Qualifikationen oder generell einem niedrigeren Bildungsniveau als bei Menschen ohne Zuwanderungsgeschichte.

Vergleiche mit den Vorjahren sind aufgrund der methodischen Umstellung im Mikrozensus eingeschränkt. Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Armutsgefährdung sind daher schwer zu messen. Davon abgesehen zeigten sich teils deutliche Anstiege bei der Armutsgefährdung 2021 im Vergleich zu 2019 zum Beispiel bei Selbstständigen (2019: 9,2%; 2021: 14,0%) und bei älteren Personen ab 65 Jahren (2019: 15,4%; 2021: 17,9%). Bei den Erwerbslosen zeigte sich dagegen ein anderes Bild: Sie wiesen 15 Jahre lang Armutsgefährdungsquoten von zumeist deutlich über 50% auf. Im Jahr 2021 wurden hier dagegen "nur" noch 48,9% gemessen - nach 57,5% im Jahr 2019. Dabei könnte dies auch an einer sich geänderten Erwerbslosenstruktur gelegen haben, das Gewicht der Langzeiterwerbslosen könnte sich verringert und im Gegenzug das der neu hinzugekommenen Erwerbslosen – vermehrt in Folge der Corona-Pandemie - vergrößert haben. Während Erstere in der Regel im SGB II-Bezug zu verorten waren, wird bei Letzteren das
Einkommen noch durch höhere ALG I-Leistungen bestritten. Dabei machen die Erwerbslosen nur einen kleinen Teil aller armutsgefährdeten Menschen aus, 2021 waren es 67.000 Personen, wohingegen die Zahl der armutsgefährdeten Erwerbstätigen mehr als fünf Mal so hoch war (353.000).

Was das Konzept der relativen Armutsmessung nicht berücksichtigt, sind - bis auf die Haushaltsgröße und das Alter der Mitglieder - zum Beispiel unterschiedlich hohe Bedarfe, Vermögen oder Fähigkeiten von Menschen in unterschiedlichen Lebenslagen. Auch wenn ein Mensch nach der Einkommensverteilung über der Armutsschwelle liegt, muss er mitunter aus finanziellen Gründen auf essentielle Dinge des (gesellschaftlichen) Lebens verzichten. Zahlen zur materiellen Deprivation, die aus der EU-weiten Befragung EU-SILC Leben in Europa hervorgehen, geben Antworten darauf, worauf Menschen konkret aufgrund von Armutsgefährdung verzichten müssen. Die bei Redaktionsschluss zur Verfügung stehenden Daten beziehen sich auf das Jahr 2019, sind jedoch dennoch aufschlussreich bei der Frage, vor welchen Problemen
viele Haushalte während der Corona-Pandemie durch Einkommenseinbußen bei Kurzarbeit oder gänzlichem Wegfall der Erwerbsarbeit standen. Die stark angestiegene Inflation seit Ende 2021 lässt ebenfalls erahnen, welche Auswirkungen diese auf nicht wenige Haushalte hat, die zuvor schon kaum Rücklagen bilden konnten für ungeplante Ausgaben.

Quelle: Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung, HSBN 2022