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Niedersächsische Ministerin für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung
Familie in Niedersachsen Statistische Ämter des Bundes und der Länder

Relative Armut und relativer Reichtum

In wirtschaftlich hochentwickelten Ländern bedeutet Armut vor allem die mangelnde Möglichkeit der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und eine Einschränkung der individuellen Handlungsmöglichkeiten. Sie kann so zur sozialen Ausgrenzung führen. Arbeitslosigkeit, Niedriglöhne, geringe Qualifikation, mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie eine zu niedrige Altersabsicherung verstärken das Armutsrisiko und die Auswirkungen prekärer Lebenslagen. Zentraler Begriff in der amtlichen Sozialberichterstattung ist die "relative Armut" und damit einhergehend die Armutsgefährdung. Als armutsgefährdet gilt danach, wer weniger als 60% des durchschnittlichen Haushaltsnettoeinkommens (Median) zur Verfügung hat.

In Niedersachsen waren im Jahr 2022 nach ersten Ergebnissen rund 1,37 Millionen Menschen von relativer Einkommensarmut betroffen. Die Armutsgefährdungsquote lag damit bei 17,1% und leicht über dem Bundesdurchschnitt (16,7%). Im (eingeschränkten) Vergleich der beiden Vorjahre zeigte sich für Niedersachsen zugleich keine Niveauveränderung, das Ausmaß der Armutsgefährdung hat sich seit 2020 also insgesamt betrachtet nicht verändert.

Diese Beobachtung bestätigt sich zumeist auch mit Blick auf die Armutsgefährdung einzelner Bevölkerungsgruppen zum Beispiel nach Haushaltszusammensetzung oder Erwerbsstatus. Dabei ist klar, dass sich Trends erst über einen längeren Zeitraum ablesen lassen, wie die seit 2020 nun wiederholt bestätigte Tatsache, dass die Armutsgefährdung im Alter überdurchschnittlich hoch ausfällt – was auf die merklich überdurchschnittliche Armutsgefährdung von Frauen ab 65 Jahren zurückzuführen ist. Es ist zugleich eine Folge der Geschlechterungleichheit bei den Verdiensten, aufgrund der Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt durch Verzicht auf Karriere, unsteterer Erwerbsbiographien oder einem hohen Teilzeitanteil zugunsten von unbezahlter Sorgearbeit und Kinderbetreuung.

Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren waren auch 2022 mit 22,3% übermäßig häufig armutsgefährdet. Dabei zeigt sich, wie in den anderen Altersgruppen auch, dass diejenigen mit Zuwanderungsgeschichte noch einmal besonders betroffen sind: Unter 18-Jährige mit Migrationshintergrund waren etwa drei Mal so häufig armutsgefährdet (37,4%) wie Kinder ohne Migrationshintergrund (12,7%). Zudem lag auch die absolute Zahl der Armutsgefährdeten unter 18-Jährigen mit Zuwanderungsgeschichte fast doppelt so hoch (200.000) wie die derjenigen ohne Zuwanderungsgeschichte (108.000). Auffällig ist die Steigerung innerhalb eines Jahres um rund 21.000 armutsgefährdete Kinder mit Migrationshintergrund, was auch auf den Zuzug der vieler (Alleinerziehenden-)Familien aus der Ukraine hindeutet.

Kinder sind bei der Betrachtung immer im Familien- beziehungsweise Haushaltskontext armutsgefährdet, ihre Armutsgefährdung ist per se Folge der Armutsgefährdung der Eltern. Die Gründe dafür liegen in der Bildung und Qualifikation und schließlich beim Einkommen. Dabei weisen Menschen mit Zuwanderungsgeschichte im Durchschnitt ein niedrigeres Qualifikationsniveau auf als Menschen ohne Zuwanderungsgeschichte. Dies kann vielfältige Gründe haben bis hin zu Diskriminierung oder fehlender Anerkennung ausländischer beruflicher Qualifikationen oder generell einem niedrigeren formalen Bildungsniveau als bei Menschen ohne Zuwanderungsgeschichte.

Was das Konzept der relativen Armutsmessung nicht berücksichtigt, sind – bis auf die Haushaltsgröße und das Alter der Mitglieder – zum Beispiel unterschiedlich hohe Bedarfe, Vermögen oder Fähigkeiten von Menschen in unterschiedlichen Lebenslagen. Die amtliche Sozialberichterstattung schließt die offene Frage nach dem Bedarf und Auskommen des Einkommens, indem sie die Haushalte genau hierzu befragt. Dabei steht neben der materiellen Deprivation seit 2020 auch die soziale Entbehrung im Fokus, die konkrete soziale Teilhabeaspekte beleuchtet. Zahlen zur sozialen und materiellen Deprivation, die aus der EU-weiten Befragung EU-SILC hervorgehen, geben Antworten darauf, auf welche essentiellen Dinge Menschen konkret aufgrund unzureichender finanzieller Möglichkeiten verzichten müssen. Vor dem Hintergrund der hohen Inflation bekommt die Frage danach, ob ein Haushalt es sich leisten kann, die Wohnung angemessen warm heizen zu können besondere Bedeutung. Schon 2021 – weitestgehend vor den Preissteigerungen – hatten hier 7,7% der armutsgefährdeten Bevölkerung in Deutschland Probleme, in der Gesamtbevölkerung waren es vergleichsweise niedrige 3,9%. Angaben für 2022 lagen bei Redaktionsschluss noch nicht vor, es ist jedoch angesichts der massiven Energiepreissteigerungen für 2022 auch hier mit erheblich mehr Betroffenen zu rechnen. So konnten sich 2021 bereits 31,9% der Haushalte in Deutschland unerwartet hohe Ausgaben in Höhe von 1.150 Euro nicht leisten und unter den armutsgefährdeten 60,5%. Für 2022 ist vor diesem Hintergrund in Verbindung mit erhöhten Abschlägen und Nachzahlungen eine Verschärfung der sozialen Problemlagen erwartbar, die wohl nicht gänzlich von staatlicher Seite mittels Strompreisbremse oder temporärer Heizkostenübernahme abgefedert werden können.

Quelle: Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung, HSBN 2023